“Lehrer*in sein ist mehr als das Vermitteln von Unterrichtsstoff“
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Heidi Berg Nielsen

Heidi Berg Nielsen teilte ihre Erkenntnisse zur Bedeutung von sozial-emotionalen Kompetenzen für die Weiterentwicklung von Lehrkräften und darüber, wie die Achtsamkeitskomponente zu positiven Auswirkungen beitragen kann.

Im Rahmen der Vorstellung des HAND:ET-Konsortiums und der SEDA Kompetenzen werden regelmäßig Web-Artikel veröffentlicht, die über die HAND:ET-Website und Medienkanäle (FB,TW) zugänglich sein werden. Das Ziel ist, die Projektpartner*innen durch kurze fachbereichsbezogene Interviews mit Mitgliedern des Projektteams vorzustellen, die sich mit den Hauptthemen des HAND:ET-Projekts befassen: soziale und emotionale Kompetenzen und Diversitätsbewusstsein (SEDA) sowie die Stärkung von Lehrkräften in Schulen.

Im Rahmen des HAND: ET-Projekts wurden zahlreiche Herausforderungen erkannt, mit denen Lehrkräfte im 21. Jahrhundert konfrontiert sind. Der Alltag einer Lehrkraft ist von rasanten technologischen Entwicklungen und zunehmender sozialer und kultureller Vielfalt geprägt. Damit einher gehen hohe Erwartungen und der Druck, stets informiert und flexibel zu sein. Gleichzeitig besteht aber auch der Anspruch, dass die Arbeit von Lehrpersonen von höchster Qualität sein muss.


Der Ansatz, der im Projekt verfolgt wurde, um Lehrkräfte für die Komplexität des Arbeitsalltags mit immer diverseren Klassenräumen zu stärken und ihnen zu ermöglichen, flexibel mit den neuen Herausforderungen umzugehen, bestand nicht darin, an ihren Lehrfähigkeiten oder digitalen Kompetenzen zu arbeiten. Es wurde angestrebt, sich direkt auf die Lehrkräfte zu konzentrieren und sie bei der Entwicklung von sozialen und emotionalen Kompetenzen sowie ihres Diversitätsbewusstsein (SEDA) zu unterstützen.

Was sind Ihre Erkenntnisse in Bezug auf die Relevanz und die Bedeutung von sozial-emotionalen Kompetenzen und Beziehungskompetenzen im Lehrberuf im Allgemeinen? Warum sind diese nicht weiter verbreitet?

- Es ist wichtig, zu verstehen, dass Lehrer*in sein mehr ist als das Vermitteln von Unterrichtsstoff. Lehrpersonen stehen in ständigem Kontakt mit den Schüler*innen und sind aktiv an diesem Kontakt beteiligt. Das bedeutet, dass sie sich selbst in den Kontakt einbringen, wobei es sich hierbei nicht um eine gleichberechtigte Beziehung handelt, sondern eher um eine asymmetrische Machtbeziehung, bei der die Lehrkraft die größere Macht hat. Wenn man sich dessen nicht bewusst ist, kann dies großen Schaden anrichten. Durch die Entwicklung eines Bewusstseins für sich selbst und einer offeneren Haltung sich selbst gegenüber kann man auch bessere Beziehungen zu anderen aufbauen. Das ist sowohl für die Schüler*innen als auch für das Stresslevel der Lehrkräfte vorteilhaft.

Wie zuvor erwähnt ist eines der Hauptziele von HAND:ET, den Druck, dem Lehrkräfte in ihrem Arbeitsalltag durch komplexe und diverse Klassenräume ausgesetzt sind, anzuerkennen und ihnen zu ermöglichen, flexibel mit den neuen und bevorstehenden Herausforderungen umzugehen. Das Projekt stellt das Wohlbefinden der Lehrkräfte ins Zentrum und lädt sie ein, ihre Selbstfürsorge mit Hilfe der Methodik der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR) zu fördern.

Es gibt eine Zunahme an evidenzbasierten Maßnahmen zur Förderung von Achtsamkeit und ihrer Auswirkungen, was ist MBSR und was ist laut Forschung das Ausmaß dieser Maßnahmen?

- Achtsamkeitstraining ist eine gut erforschte Methode zur Verbesserung der mentalen Gesundheit. Studien, die in führenden medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, zeigten, dass achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindufulness-based Stress Reduction, MBSR) die Symptome von Stress, Angst, Despression und Schmerz reduziert (Chi, Bo, Liu, Zhang & Chi, 2018; Khoo, et al., 2019; Khoury, Sharma, Rush & Fournier, 2015; Strauss, Cavanagh, Oliver & Pettman, 2014). Die positiven Auswirkungen wurden durch neurologische Forschung belegt. Die Struktur und Funktion des Gehirns verändern sich laut MBSR in Bereichen, die für die Stressregulierung zuständig sind (Hölzel et al., 2011; Lazara et al., 2005; Pallesen, Dahlgaard & Fjordback, 2016).

MBSR ist ein achtwöchiges Programm, das von Jon Kabat-Zinn 1979 an der medizinischen Fakultät der Universität von Massachusetts in den Vereinigten Staaten entwickelt wurde (Kabat-Zinn, 1990). Das Programm basiert auf Yoga, Meditation und Psychoedukation. Heute gibt es gut beschriebene Standards für MBSR sowie für die Ausbildung der Personen, die das Programm weitervermitteln. Achtsamkeit ist in erster Linie eine Art des Bewusstseins, die durch bewusste Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment gekennzeichnet ist, ohne zu urteilen, zu kritisieren oder zu bewerten. Stattdessen trainiert man die Bereitschaft und Offenheit, sich auf das Erlebte einzulassen und ihm mit Akzeptanz, Freundlichkeit und Neugierde zu begegnen. MBSR hat seine Wurzeln in alten buddhistischen Traditionen und verfolgt wie diese ein größeres Ziel als den Stressabbau. Dieses Ziel ist, die gemeinsamen menschlichen Bedingungen zu klären - einschließlich unserer verkörperten Natur und der Natur des Verstands - und dadurch unser psychosoziales Wohlbefinden und nachhaltiges Verhalten zu stärken. Achtsamkeit ist ein Aufmerksamkeitstraining, bei dem die Aufmerksamkeit oft auf Körperempfindungen (z. B. die Atmung) gelenkt wird, anstatt sich in den Inhalten der Gedanken zu verlieren. Die Wahrnehmung des Körpers ist eine natürliche Voraussetzung, um mit den Signalen des Körpers vertraut zu werden, einschließlich der Signale von Stress, Gedanken und Emotionen. Dadurch ist es möglich, zu trainieren, die Aufmerksamkeit im Körper im Hier und Jetzt zu stabilisieren und sich nicht in Gedanken über Vergangenes oder Zukünftiges zu verlieren (Smallwood, Fitzgerald, Miles & Phillips., 2009; Smallwood & Schooler, 2006).

Die philosophische Grundlage der Meditation besagt, dass wahres Glück in der Gegenwart liegt und dass wandernde Aufmerksamkeit zu einem unglücklicheren Geist führt. Killingworth and Gilbert (2010) versuchten dies in einer Studie zu untersuchen. Sie statteten 2250 Teilnehmer*innen mit einer mobilen App aus, die sie zu jeder möglichen Tageszeit während alltäglicher Aktivitäten kontaktierte, und sie fragte: „Wie geht es dir gerade?“ - auf einer Skala von sehr schlecht (0) bis sehr gut (100) -, „Was machst du gerade?“ und „Denkst du gerade an etwas anderes als an das, was du gerade tust?“. Die Studie zeigte, dass die Aufmerksamkeit der teilnehmenden Personen in 47% aller Situationen nicht im gegenwärtigen Moment lag. Die Aufmerksamkeit schweifte regelmäßig ab, unabhängig davon, welcher Tätigkeit die Teilnehmenden nachgingen. Es zeigte sich, dass die Teilnehmenden weniger glücklich waren, wenn ihre Aufmerksamkeit von der Gegenwart abgelenkt war. Dies galt für alle Tätigkeiten, einschließlich der, die am unangenehmsten empfunden wurden. Analysen von Zeitreihen deuteten darauf hin, dass eine wandernde Aufmerksamkeit im Allgemeinen die Ursache und nicht nur eine Folge von schlechter Stimmung war. Woran die Menschen dachten, konnte ihre Stimmung besser vorhersagen als die Tätigkeit, der sie nachgingen (Killingworth & Gilbert, 2010).

Einige der Meditationsübungen im Programm enthalten Abschnitte, in denen der Fokus auf den Gedanken liegt. Dabei wird trainiert, Gedanken als mentale Ereignisse und nicht unbedingt als Wahrheiten zu betrachten. Das bedeutet, dass der Inhalt der Gedanken wahrgenommen wird, ohne sich mit dem Inhalt zu identifizieren oder aktiv auf diesem aufzubauen. So, wie wir automatisierte Verhaltensmuster haben, haben wir auch Gedankenmuster, die in hohem Maß süchtig machen können. Durch das Entdecken der eigenen Gedankenmuster und das gleichzeitige Stärken des Körperbewusstseins entsteht innere Sicherheit und eine erhöhte mentale Flexibilität. Dies bildet den Ausgangspunkt dafür, automatisierte Verhaltensmuster neu zu bewerten und zu verändern (Siegel, 2011).

Ein gutes Beispiel für eine ungünstige mentale Angewohnheit ist das negative Grübeln. Alle Menschen grübeln. Es ist der Versuch des Gehirns, uns zu helfen, eine Lösung für unser Problem zu finden. Dies geschieht insbesondere, wenn wir gestresst sind oder uns unwohl fühlen. Manche Menschen durchleben den Prozess des Grübelns häufiger als andere, wobei mehrere Studien zeigen, dass anhaltendes Grübeln Probleme oft nicht löst, sondern das Gegenteil bewirkt. Wenn wir in negativen Gedankenmustern feststecken, fällt es uns schwerer, unsere Probleme zu lösen. Studien deuten darauf hin, dass das Grübeln die Anfälligkeit für Depressionen und eine schlechtere mentale Gesundheit erhöht und nicht nur eine Folge davon ist (Lyubomirsky & Nolen-Hoeksema, 1995; Nolen-Hoeksema & Morrow, 1991; Treynor, Gonzalez & Nolen-Hoeksem, 2003).

Mit sich selbst bewusster und vertrauter zu werden, kann zu mehr Klarheit in Bezug auf die Entdeckung innerer und äußerer Verhaltensmuster führen. Dadurch wird eine bessere Möglichkeit geschaffen, unangemessene Gewohnheiten zu ändern. Vago und Silbersweig (2012) beschreiben diesen Prozess mit dem S-ART-Modell (Self-Awareness, Regulation, Transzendenz): Das Individuum beginnt damit, sich selbst zu beobachten (Selbst-Bewusstsein, und lernt dann, sich selbst zu regulieren (Selbst-Regulation), was letztlich zu einer Veränderung führen kann (Selbst-Transzendenz) (Vago & Silbersweig, 2012).

Das Ergebnis kann als die Kunst beschrieben werden, auf gesunde Weise bei sich selbst zu sein - zum eigenen Wohle und zum Wohle anderer.

Lehrpersonen stehen heutzutage oft unter großem Druck. Ihr Arbeitsleben ist sehr komplex und stellt vielfältige Anforderungen. Achtsamkeit kann ihnen helfen, eine größere innere Stabilität zu erlangen, um besser mit dieser Komplexität und dem Druck umgehen zu können. Es ist wichtig, einen guten Kontakt zu sich selbst zu haben und zu wissen, wo man steht und wie man sich fühlt, um sich selbst zu regulieren.

Aus Ihrer Perspektive als eine der Co-Autor*innen des HAND:ET-Programms und erfahrene Entwicklerin von Fortbildungsprogrammen für Lehrkräfte, die sich auf ähnliche Bereiche der Lehrpersonenkompetenzen konzentrieren: Was sind die Hauptunterschiede von HAND:ET, die es von anderen Programmen abheben? Was ist entscheidend, damit diese Art von Programm Wirkung zeigt?

- Der Fokus des Programms liegt auf den Lehrpersonen und darauf, wie sie ihre Beziehungskompetenz entwickeln und verstärken können. Die Arbeit an der beruflichen Entwicklung der Lehrkräfte ist ein Weg, die Kinder zu erreichen und sie als Subjekte sowie als Teil der Beziehung zu sehen. Das Lernen findet in der Beziehung statt.

Es ist entscheidend, dass die HAND:ET Trainer*innen den Lehrkräften mit Respekt und auf der Subjektebene begegnen - in der gleichen Weise, wie die Lehrkräfte für die Begegnung mit den Kindern geschult werden.


Heidi Berg Nielsen ist zugelassene Psychologin (Cand.psych) und zertifizierte MBSR- und b-Lehrerin (ein achtsamkeitsbasiertes Programm für Kinder), ausgebildet in Integrativer Gestalttherapie und Akzeptanz- und Commitment-Therapie. Sie ist Teil des DCM-Teams und Inhaltsentwicklerin, Ausbildnerin und Supervisorin im Projekt HAND: Empowering Teachers (HAND:ET). Heidi wird ihre Erkenntnisse zur die Bedeutung der sozial-emotionalen Kompetenzen in der (beruflichen) Entwicklung von Lehrkräften mit uns teilen und darlegen, wie die Achtsamkeitskomponente zu einer positiven Wirkung der Maßnahmen beitragen kann.

Das Dänische Center für Achtsamkeit (DCM) wurde 2013 als Teil der Abteilung für klinische Medizin an der Universität Aarhus (AU) gegründet. Seine Forschung konzentriert sich auf Stress und Stressreduktion und bietet evidenzbasierte Kurse für Achtsamkeit (Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion – MBSR und achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie – MBCT) und Mitgefühl (Compassion Cultivation Training - CCT) in Kooperation mit der Brown Universität (MBSR) und Oxford Universität (MBCT) an.

Das DCM bietet darüber hinaus in Zusammenarbeit mit der Stanford University eine Lehrkräfteausbildung in CCT an und arbeitet auf gesellschaftlicher Ebene daran, das Wissen und die Anwendung achtsamkeitsbasierter Maßnahmen im dänischen Gesundheitswesen, in Schulen, im Strafvollzug und am Arbeitsplatz zu verbessern.

Die Aufgaben des DCM in diesem Projekt umfassen den Trainingsprozess für Trainer*innen in sozialen und emotionalen Kompetenzen sowie die Supervision der Fortbildungen für Lehrkräfte und Schulpersonal im Rahmen des HAND: Empowering Teachers Systems. Das DCM ist außerdem hauptverantwortlich für die Entwicklung des neuen HAND: Empowering Teachers Programms, das auf die sozialen und emotionalen Kompetenzen und das Diversitätsbewusstsein (SEDA) von Lehrkräften abzielt. In Zusammenarbeit mit der Mid Sweden University (MIUN) haben die Forscher*innen am DCM Programme und Trainingsmethoden für Trainer*innen entwickelt, die diese drei Kompetenzen abdecken.


Weitere Informationen über das Projekt finden sie auf der offiziellen HAND:ET Website. Um über die aktuellen Projektaktivitäten und zukünftigen Ergebnisse informiert zu bleiben, besuchen Sie bitte die offizielle Facebook-Seite des Projekts oder Twitter.

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